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Gesprächsführung mit Menschen am Abgrund: WWU-Mediziner entwickeln Praxismodul zu akuter Suizidalität

Im Studienhospital Münster führt ein Medizinstudent ein Gespräch mit einer Simulationspatientin. Durch eine verspiegelte Scheibe beobachten (v.l.n.r.) ein Studierender, Studienhospital-Leiter Dr. Hendrik Ohlenburg, Simulationspatienten-Trainerin Johanna Kollet sowie die Psychologin und fachliche Entwicklerin des Moduls Miriam Aust das Gespräche (Foto: WWU/E. Wibberg)

Münster (mfm/jg) – Mit jemandem sprechen, mit dem man nicht sprechen kann – wie geht das? Für die Vorbereitung von Medizinstudierenden auf solche Situationen gibt es an der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) eine neue Lösung: Da der Umgang Studierender mit akut suizidgefährdeten Personen nicht vertretbare Risiken birgt, wurde eine Lehreinheit entwickelt, die auf Simulationspatientinnen und -patienten setzt. Nach einer Erprobungsphase und deren Auswertung geht das Praxismodul „Gefährdungsbeurteilung und Therapieplanung bei akuter Suizidalität“ nun in den Regelbetrieb.

„Es ist wie in der auf den Körper abzielenden Medizin: Studierende ohne viel Erfahrung leiten auch kein Team an, das Wiederbelebungsmaßnahmen bei einem Patienten mit Kreislaufstillstand durchführt“, sagt der Ärztliche Leiter des Studienhospitals der Medizinischen Fakultät, Dr. Hendrik Ohlenburg. Eine Arbeitsgruppe um die Psychologin Miriam Aust aus der Uniklinik für Psychische Gesundheit hat mit ihm, der Psychologin Janina Sensmeier und der Simulationspatienten-Trainerin Johanna Kollet das neue Modul konzipiert. Zwar sei es, so Ohlenburg, das Ziel der Lehre, die Studierenden wenn immer möglich mit echten Patienten zusammenzubringen. Direkter Kontakt mit akut suizidgefährdeten Personen – von denen 2020 bundesweit mehr als 9.000 Personen ihre Absicht umsetzten – sei aber nicht zu verantworten, so Aust: „Diese Menschen sind lebensbedrohlich erkrankt und brauchen professionelle Hilfe. Die dafür nötigen Fähigkeiten wollen wir mit den Medizinstudierenden trainieren, ohne die Betroffenen zusätzlich zu belasten.“ 

Dafür greift die Klinik für Psychische Gesundheit auf das im Studienhospital etablierte Konzept zur Kommunikation zwischen Ärztin/Arzt und Patientin/Patient zurück und passt es den – besonders hohen – Anforderungen psychischer Erkrankungen an. Während den Sitzungen sind Fachdozierende, eine Psychologin, der Simulationspatient und eine Gruppe von zwölf Studierenden anwesend. Eine oder einer der Studierenden führt ein Anamnesegespräch mit dem Simulationspatienten, der ein psychiatrisches Krankheitsbild mit deutlichen Hinweisen für akute Suizidgefahr zeigt. Das sei „ein Balanceakt und ein Spagat“, denn: „Zum einen muss die psychische Gesundheit der Simulationspatienten gewährleistet werden, zum anderen müssen wir den Studierenden ein möglichst realistisches Bild bieten“, so Ohlenburg.

Da die authentische Darstellung von psychischen Krankheiten wie der Depression mental herausfordernder sei als die der meisten körperlichen Leiden, erhalten die Simulationspatienten im Vorfeld ein spezielles Training. Zudem werden sie während und nach der „Spielsituation“ gesondert betreut, etwa durch eine „Abklingphase“. Abschließend geht es in einen Feedback-Abschnitt mit allen Beteiligten.

Trotz der vielen Herausforderungen und des hohen Aufwands habe das Praxismodul während des Pilotsemesters durchweg Anklang gefunden, resümieren Aust und Ohlenburg. „Die Authentizität des Moduls ist überzeugend und die Studierenden sind froh, ihre Fähigkeiten in einem geschützten Rahmen weiterentwickeln zu können. Hinter alledem steht das Ziel, die Ausbildung im Medizinstudium und in der Folge die Versorgung suizidgefährdeter Patienten zu verbessern“, erklärt die Psychologin.

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