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"Ein Fantasiename reicht uns": MHD-Sprechstunde ist Anlaufstelle für Menschen ohne Krankenversicherung

Dr. Gabrielle von Schierstaedt demonstriert eine Untersuchung mit einem Malteser-Mitarbeiter (Foto: tw)

Notfallhilfe verzeichnet stetig steigenden Zulauf / Auch Medizinstudenten der WWU engagieren sich
Münster (mfm/tw) – Geringe Arbeitslosigkeit, überdurchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen -  trotz aller Haushaltsprobleme gilt Münster als wohlhabend. Zum Sozialparadies wird die Stadt dadurch nicht: Vor wenigen Wochen erst hat das Institut für Soziologie Untersuchungsergebnisse zur Armut in Münster veröffentlicht. Die Schere zwischen Armen und Reichen ist groß und manche Einwohner haben nicht einmal eine Krankenversicherung. In der Malteser-Sprechstunde bekommen sie Hilfe – auch von Medizinstudenten.
„Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres hatten wir mehr Patienten als im gesamten letzten Jahr“, sagt Dr. Gabrielle von Schierstaedt. Die Diözesanoberin der Malteser im Bistum Münster leitet eine Sprechstunde für Menschen ohne Krankenversicherung, die jeden Dienstag von 10 bis 14 Uhr stattfindet. 92 Patienten waren es 2010 bisher, im Gegensatz zu rund 70 im gesamten Vorjahr. Das als schlechtes Zeichen zu werten, hält die Medizinerin für voreilig: „Natürlich ist das nicht mit einem plötzlichen, massiven Anstieg der Versicherungslosen zu erklären“. Die Arbeit der Malteser hat sich wohl vielmehr herumgesprochen; seit Begründung der Sprechstunde vor rund drei Jahren steigen die Patientenzahlen stetig.
Wer keine Krankenversicherung hat, hat in der Regel auch nicht das Geld, eine Behandlung bar zu bezahlen. In die Sprechstunde im Malteserzentrum am Daimlerweg kommen deshalb Menschen mit ganz unterschiedlichen Problemen, beobachtet von Schierstaedt. „Wir haben Patienten mit Zahnschmerzen, mit Allergien, mit rheumatischen Krankheiten oder mentalen Störungen“, so die Medizinerin, „und ebenso kerngesunde Frauen, die Unterstützung in der Schwangerschaft brauchen“.
Im Moment ist etwa ein baltischer Bürger mit starken Beschwerden in Behandlung. Der war nach eigenen Angaben nicht angemessen behandelt worden, nachdem er 1993 einen schweren, unverschuldeten Autounfall überstanden hatte. Ein Bein und der Rücken machen seitdem Probleme, möglicherweise muss der Rücken operiert werden. Gespräche mit Fachärzten laufen, vielleicht kann der schwere Eingriff abgewendet werden. So oder so, die Behandlung ist teuer – auch wenn die Beratungsstelle über Kontakte und Beziehungen versucht, die Kosten gering zu halten: „Wir freuen uns über den Erfolg, aber wir sind auf Spenden zur Finanzierung angewiesen“, so von Schierstaedt.
Sprachbarrieren sind übrigens selten ein Problem, obwohl nur rund ein Viertel der Patienten die deutsche Staatsbürgerschaft hat: „Patienten, die weder Deutsch noch Englisch oder Französisch sprechen, bringen in der Regel jemanden mit“. Die Verständigung funktioniert dann über Freunde, Verwandte, Sozialarbeiter.
Problematischer ist, dass viele der Hilfsbedürftigen sich nicht legal in Deutschland aufhalten. Weil der Aufenthaltstitel fehlt, haben die Menschen Hemmungen, sich behandeln zu lassen. Von Schierstaedt beruhigt: Geholfen werde unabhängig vom Aufenthaltsstatus, Konsequenzen drohten nicht. „Wir haben in jeder Woche vier Stunden lang Sprechstunde, im Moment kommen durchschnittlich drei, vier Patienten“, so von Schierstaedt: „Wir können uns also wirklich Zeit für die Patienten nehmen. Herkunftsland und Geburtsdatum notieren wir und im Idealfall eine Nummer, über die wir sie erreichen können.“ Der Name ist für die Behandlung nicht von Bedeutung. Wichtig ist nur, dass Patienten in der Kartei gefunden werden, wenn sie wiederkommen. „Dafür reicht ein Fantasiename“.
Einwanderer ohne Aufenthaltstitel stecken in einer Sackgasse – an eine Krankenversicherung zu kommen, ist praktisch unmöglich. Bei Deutschen sind die Chancen besser. Die Malteser-Sprechstunde vermittelt Patienten in solchen Fällen zu anderen Beratungsstellen, die eigene Fachkompetenz liegt aber im medizinischen Bereich. Bevor die Sprechstunde in Münster Premiere hatte, gab es bereits Erfahrungen aus Berlin und Köln. Mittlerweile beraten die Malteser in rund zehn deutschen Städten, davon zwei in NRW, Menschen ohne Krankenversicherung.
Auch Medizinstudenten der Universität Münster setzen sich für die Menschen ohne Krankenversicherung ein – stießen dabei aber auch auf Grenzen. Ein halbes Jahr lang hat die münstersche Hochschulgruppe der IPPNW – Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. – einen zusätzlichen Patientenbegleitdienst angeboten, jeden Donnerstag von 8 bis 10 Uhr. Das Problem: Es kamen nur wenige Patienten. „Wir glauben nicht, dass die Nachfrage fehlt“, meint die Medizinstudentin Katharina Thilke. „Es ist aber nachvollziehbar, dass sich die Menschen ohne Aufenthaltsstatus in der Regel eher an Menschen aus ihrem Umfeld wenden und zunächst bei denen Hilfe suchen“. Die Präsenzzeit fällt deshalb erst einmal aus, im Bedarfsfall steht die Hochschulgruppe aber weiterhin für den Begleitdienst zur Verfügung.
Das Engagement des Malteser-Hilfsdienstes wird durch Spenden finanziert, daher freut sich die Einrichtung über jede finanzielle Zuwendung: Malteser Hilfsdienst e.V. - DGS Münster, Konto 3507800, Bankleitzahl 400 602 65, Darlehenskasse im Bistum Münster, Stichwort „Sprechstunde“).

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