Die „Silberpappel“ würde es wieder tun: Alumnus Dr. Claus Jaeckel und sein Landarztleben in der deutschen Provinz

"Landarzt" Dr. Claus Jaeckel vor seiner Praxis in Süderbrarup (Foto: privat)

Süderbrarup/Münster (mfm/tw) - Kein Lichtschein dringt aus dem Landarzthaus: Um die Abendruhe vor späten Patienten zu schützen, verhängte Dr. Claus Jaeckel die Wohnräume seiner Familie lange mit dicken Vorhängen. Der Allgemeinmediziner steht seinen Patienten so nahe, dass er Freiräume durchsetzen muss. Trotzdem hat Jaeckel die Übernahme der Familienpraxis vor 30 Jahren nie bereut: „Das war die beste Entscheidung der Welt. Schade, dass sich nur noch wenige junge Mediziner für das Leben als Landarzt entscheiden.“
Jaeckel lebt und arbeitet in Süderbrarup, einem Dorf mit 4.000 Einwohnern im äußersten Norden Deutschlands, zwischen Kiel und Flensburg. Der Weg zurück in die Familienpraxis scheitere fast am Abi-Schnitt: Mit einer 3,3 gab es schon Anfang der 1970er Jahre keinen Studienplatz. Also schrieb sich Jaeckel in Mainz als Physikstudent ein, ging zu den Medizinveranstaltungen und nahm den Platz der Studenten ein, die häufiger als die erlaubten zwei Mal fehlten. Zehn Semester dauerte es so bis zum Physikum, dann wechselte Jaeckel nach Münster: „Da habe ich mich endlich auf den Hosenboden gesetzt, das erste Staatsexamen gemacht, die Scheine für das zweite gesammelt und den Versuchsteil der Doktorarbeit abgeschlossen. Dann das zweite Staatsexamen in Kiel und das Praktische Jahr in Flensburg – zurück in Münster habe ich 1982 endlich promoviert.“
Auch wenn die Zeit in Münster von 1977 bis 1980 nach dem gemächlichen Mainzer Start arbeitsintensiv war, erinnert sich Jaeckel gern an die dortige Medizinische Fakultät. „Vor allem die Blockpraktika waren fantastisch“, sagt er: „Wir waren mehr oder weniger kaserniert, haben aber unheimlich viel gelernt. Zum Beispiel das Ektropionieren, also das Umstülpen und Untersuchen des Oberlids – so etwas muss ein Landarzt können.“ Promoviert hat Jaeckel vor seiner Rückkehr nach Süderbrarup allerdings mit einem weniger praxisnahen Thema, dem „hypertonen und proteinurischen Schwangerschaftsverlauf beim Kaninchen“.
Was gefällt Jaeckel am Landarztleben? „Als Hausarzt bin ich in engem Kontakt mit den Menschen“, sagt er: „Auf dem Marktplatz winken die Kleinsten ‚Doktor Claus‘ zu, die Eltern kenne ich schon seit deren Kindheit – und die  Großeltern teils seit meiner eigenen.“ Dass viel Nähe zu unangenehmer Distanzlosigkeit führen kann, hat Jaeckel auch erlebt. Die lichtdichten Gardinen waren ein Notbehelf, sonst setzt Jaeckel auf klare Regeln: „Wer akut krank ist, kann jederzeit kommen – aber Freitagabend um Sieben noch ein Pillenrezept, das geht nicht. Für Telefongespräche zu Laborwerten ist eine Stunde am Vormittag reserviert. Und am Samstag bleibt die Praxis zu, das gab zwar erst einen Riesenalarm, geht aber wunderbar.“
„Silberpappeln“ nennt Jaeckel die alten Landärzte, und junges Holz ist selten geworden. Die Nachwuchsmediziner, so Jaeckel, hätten „Schiss vorm Landleben“. Dabei sei der Beruf nie langweilig: „Es sind immer wieder Patienten dabei, die richtig krank sind; die sehe ich ungefiltert in meiner Praxis, der Facharzt meist erst nach Überweisung. Ein Allgemeinmediziner ist immer gefordert, besonders auf dem Land, wo der Weg zum Facharzt weit ist.“ Und die anstrengende 24-Stunden-Verfügbarkeit früherer Zeiten sei dank eines geregelten Nachtdienstes nicht mehr nötig.
Jaeckel hat seinen Freiraum auch durch die Umwandlung in eine Gemeinschaftspraxis erweitert. Acht Wochen Urlaub haben sich die Partner gegenseitig vertraglich zugesichert, Zeit, in der Jaeckel mit seiner Frau beim Segeln entspannt – zuletzt in diesem Sommer auf einer Reise nach Sankt Petersburg. Sonst fährt Jaeckel gern im offenen Morgan Aero 8 durch Dorf und Land. An den Ruhestand denkt Jaeckel mit seinen 58 Jahren noch nicht, aber: „Wenn jetzt ein junger Arzt käme, würde ich sagen: ‚Mach es, und wenn du Ferien brauchst, übernehme ich‘. Meine Praxis gibt es seit 1895, es wäre sehr schade, wenn es statt solcher Praxen in Zukunft nur noch ‚Medizinische Versorgungszentren‘ unter dem Dach großer Konzerne gäbe."

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