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30 Jahre deutsche „Retortenbabys“: Assistierte Reproduktion entwickelte sich zum medizinischen Standard

Als Forscher und Ärzte arbeiten Prof. Ludwig Kiesel, Dr. Andreas Schüring und Prof. Stefan Schlatt (v.l.) dafür, kinderlosen Paaren ihren Wunsch nach Nachwuchs zu erfüllen (Foto: tw)

Münster (mfm/tw) – Oliver wird 30: Am 16. April 1982 wurde an der Uniklinik Erlangen das erste deutsche Retortenbaby geboren. Damit begann auch hierzulande der Siegeszug der künstlichen Befruchtung, nachdem in England vier Jahre zuvor mit Louise Joy Brown das weltweit erste im Reagenzglas gezeugte Baby zur Welt kam. Inzwischen ist die assistierte Reproduktion (ART) – so der medizinische Fachbegriff - bei ungewollt kinderlosen Paaren Standard: Allein in Deutschland wurden im Zeitraum von 1996 bis 2010 mehr als 160.000 Kinder nach künstlicher Befruchtung geboren, weltweit kamen nach Schätzungen insgesamt mehr als 4 Millionen Kinder so zur Welt.
„Assistierte Reproduktion – oder künstliche Befruchtung – ist ein Oberbegriff für verschiedene Verfahren“, erläutert Professor Dr. Stefan Schlatt. Der Direktor des Centrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie (CeRA) an der Universität Münster: „Bei der klassischen In-vitro-Fertilisation werden die Eizellen der Frau durch Hormongabe zur Reifung gebracht, entnommen und im Reagenzglas mit den Spermien des Mannes zusammengebracht; die Eizellen werden auf natürliche Weise befruchtet. Bei der Intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) hingegen wird das einzelne Spermium mithilfe einer Pipette in die Eizelle eingebracht – das ist komplizierter, funktioniert aber auch bei geringerer Spermienkonzentration in der Samenflüssigkeit und bei Spermien, die weniger beweglich sind“, so Schlatt.
Sofern Spermien nicht anders zu gewinnen sind, können sie direkt aus dem Hoden entnommen werden. Sowohl Spermien als auch unbefruchtete und befruchtete Eizellen können – wenn nötig – vorübergehend in flüssigem Stickstoff konserviert werden. Die Erfolgsquote bei der künstlichen Befruchtung liegt je Behandlungszyklus bei rund 20 bis 40 Prozent, abhängig unter anderem vom Alter der Frau und den rechtlichen Rahmenbedingungen. Die sind in Deutschland vergleichsweise streng.
„Das deutsche Embyronenschutzgesetz ist ein Erfolgsverhinderungsgesetz“, ärgert sich Prof. Schlatt, der als Forscher seit Jahren an der Verbesserung der ART-Methoden arbeitet. „Und es ist ein Frauengefährdungsgesetz, weil es durch die die strikten Vorgaben leicht zu risikoreichen Mehrlingsschwangerschaften kommt. Wenn pro Behandlungszyklus mehr als drei Eizellen im Reagenzglas befruchtet werden dürften, könnten wir im frühesten Stadium nach äußerer Betrachtung erkennen, welcher Embryo die besten Entwicklungschancen hat, und nur diesen einsetzen – bisher sind wir zum riskanten Glücksspiel gezwungen.“ Unabhängig davon ist die finanzielle Belastung seit der Gesundheitsreform 2004 gestiegen: Die Krankenkassen übernehmen nur noch die Hälfte der Kosten für bis zu drei Behandlungszyklen bei verheirateten Paaren, zuvor erstatteten sie die vollen Kosten bei bis zu vier Versuchen. Das führte zu einer Halbierung der ART-Schwangerschaften – von etwa 20.000 zuvor auf nun konstant rund 10.000 Schwangerschaften pro Jahr.
Wenn es mit der Schwangerschaft auf natürlichem Wege nicht klappt, kann das von Oberarzt Dr. Andreas Schüring geleitete universitäre Kinderwunschzentrum an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe (Direktor: Universitätsprofessor Dr. Ludwig Kiesel) des Universitätsklinikums Münster vielleicht helfen: Die Kinderwunsch-Sprechstunde dient der Ursachensuche und bietet alle in Deutschland verfügbaren Verfahren der assistierten Reproduktion an. Daneben gibt es in Münster zwei private Praxen, die assistierte Reproduktion ermöglichen.

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