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„Wissenschaft ist ein Gegenmodell zur Feindseligkeit gegenüber dem Neuen und Fremden“: Interview mit Prof. Hans-Christian Pape
Münster (mfm/tb) - Anlässlich seiner Wahl zum künftigen Präsidenten der Alexander-von-Humboldt-Stiftung gab Prof. Hans-Christian Pape der WWU-Pressestelle ein Interview zu seinen Einflüssen, Motiven und Zielen in Sachen Forschung.Sie sind ein Forscher mit nationalem wie internationalem Renommee. Was hat Sie eigentlich in die Forschung gebracht?Vermutlich dieselben Dinge, die wohl auch die meisten Kolleginnen und Kollegen nennen würden: Neugier einerseits und Spaß am Thema anderseits. Ich war schon als Schüler jemand, der von dem Neuen, noch Unentdeckten fasziniert war, der ein Mikroskop besaß und der ein Faible hatte für den „Humboldt´schen Kosmos“ beziehungsweise das Systematische darin. Mit solchen Vorlieben landet man fast automatisch in Naturwissenschaften – bei mir war das die Biologie.Allerdings stand zunächst das Fach im Vordergrund; von der Wissenschaft selbst hatte ich lange nur vage Vorstellungen. Das änderte sich im Studium. Nie vergessen werde ich eine Begegnung mit Otto Creutzfeldt, Neurowissenschaftler, Max-Planck-Direktor und nun Namensgeber einer Graduiertenschule an der Universität Münster. Er hielt auf dem ersten wissenschaftlichen Kongress, an dem ich damals als Student teilnahm, einen Vortrag, nur ‚bewaffnet‘ mit einem grünen Filzstift, mit dem er die funktionelle Organisation des cerebralen Cortex – der höchsten Integrationsstation im menschlichen Gehirn - auf den Folien eines Overhead-Projektors skizzierte. Verstanden habe ich bei weitem nicht alles. Aber der Vortrag und der Wissenschaftler, der ihn hielt, waren ungemein faszinierend und weckten in mir den Wunsch „So will ich auch werden“. Ohne mich fachlich auch nur im Entferntesten mit Otto Creutzfeldt messen zu wollen: Das war ein Schlüsselmoment. Ein zweiter immenser Einfluss ging von meinem Doktorvater, Prof. Ulf Eysel, aus. Er zeigte mir tatsächlich das wissenschaftliche Arbeiten, er ist immer ein Vorbild, und er brachte mich frisch nach der Promotion dazu, ein wahrlich fürstlich dotiertes Angebot aus der forschenden Industrie auszuschlagen und stattdessen eine akademische Laufbahn einzuschlagen – trotz der vergleichsweise großen Unsicherheiten. In den letzten Jahren waren Sie neben der wissenschaftlichen Arbeit intensiv tätig in der deutschen Forschungspolitik und Forschungsförderung, so als Vorsitzender der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates. Worin liegt der Reiz, sich auch auf diesen Gebieten zu engagieren?Es gibt drei Hauptgründe: Erstens, ganz profan, ich war und bin ja selbst ‚Profiteur‘ unseres Wissenschaftssystems – eines Systems, das auf Gegenseitigkeit beruht. Meine Forschungsarbeiten sind sehr gut gefördert worden, und nun kann ich etwas ‚zurückgeben‘. Das fängt bei Gutachten an und ging bei mir dann eben weiter über Mitwirkung im Senat der DFG, im Wissenschaftsrat und künftig in der Humboldt-Stiftung.Zweitens möchte ich etwas ‚bewegen‘ zugunsten der Forschung. Wie lassen sich die Rahmenbedingungen für die Forschung verbessern? Wie können wir zum Beispiel Karrierewege so gestalten, dass sie attraktiver für den wissenschaftlichen Nachwuchs werden? Forschung ist kein Selbstläufer – man muss sie ‚ermöglichen‘, immer wieder neu. Hier ist es ebenso wichtig zu fördern wie zu fordern - also von der Wissenschaft auch immer wieder zu verlangen, sich selbstkritisch zu prüfen und neu aufzustellen. Dabei kommt mir vielleicht zugute, dass ich beide Seiten gut kenne.Drittens, und das ist mir in heutige Zeiten besonders wichtig: Von meinem Engagement erhoffe ich, zum Dialog von Wissenschaft und Gesellschaft beitragen zu können. Wir bemerken derzeit eine zunehmende Feindseligkeit allem Neuen und Fremden gegenüber. Wissenschaft ist ein Gegenmodell hierzu, nicht nur wegen ihrer Internationalität, sondern weil das Neue per definitionem ihr Inhalt ist. Wissenschaft kann ein Beispiel geben. Und Einrichtungen wie die Humboldt-Stiftung fördern Vertrauen, fördern Internationalisierung. Daher bin ich sehr dankbar, für diese Institution tätig sein zu können.Noch einmal zurück nach Münster: Die Erforschung von Furcht und Angsterkrankungen ist der Schwerpunkt Ihrer eigenen Arbeit. Wenn Sie einige Wünsche frei hätten bezüglich offener Fragen, die Sie in ihrer Laufbahn noch klären möchten: Welche wären das?Der Wunsch ist verwandt mit dem Willen und der Sehnsucht - beide mit unterschiedlichem Abstand zur Realisierbarkeit. Was wir unbedingt erreichen ‚wollen‘, woran meine Kollegen, Kolleginnen und ich im Sonderforschungsbereich SFB-TRR 58 arbeiten, ist der Nachweis von Kausalbeziehungen zwischen genetischer Veranlagung, den individuellen Erfahrungen während des Lebens und neuralen Veränderungen im Gehirn, die eine veränderte Angstsensitivität, eine Angsterkrankung, begründen. Ein solcher direkter Nachweis für Kausalität - wenn a) so ist, dann ist b) zwangsläufig so … - existiert noch nicht, und ich würde ihn sehr wünschen „wollen“.Eine Sehnsucht andererseits - die ich mit vielen Wissenschaftlern teile - ist die nach einer Forschung, die wieder mehr Zeit für Kreativität und Mut zur Spontaneität hat. In anderen Worten die Sehnsucht, dass wir von der überbordenden Last von Bürokratismus befreit werden und uns in Zeiten einer alles beherrschenden Standardisierung daran erinnern, dass gerade auch Spontaneität und Nicht-Planbarkeit wichtige Triebfedern des wissenschaftlichen Fortschrittes sind. Ein Zuviel an Regulierung produziert vor allem eines: Mainstream-Forschung. Vielen Dank für das Gespräch! Das Interview führte Dr. Thomas Bauer.