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Ich hätte nicht tauschen wollen“: Wie Biophysik-Professor Franz Hillenkamp knapp den Nobelpreis verpasste

Der Leitfaden zu „MALDI MS“ steht noch immer griffbereit in seinem Büro: Fast hätte dieses Verfahren Prof. em. Franz Hillenkamp den Nobelpreis eingebracht (Foto: Tobias Wesselmann)

Münster (mfm/tw) - LAMMA-1000 hat seinen Altersplatz in München gefunden. Seit November steht das Massenspektrometer in der neuen Dauerausstellung „Zentrum Neue Technologien“ im Deutschen Museum. Vor dem Ruhestand arbeitete LAMMA-1000 rund ein Vierteljahrhundert im Dienste der Wissenschaft – und hat seinen Beitrag geleistet zur Entwicklung eines Analyseverfahrens, das dem münsterschen Biophysik-Professor Dr. Franz Hillenkamp beinahe den Chemie-Nobelpreis eingebracht hätte. Stattdessen aber ging der Preis 2002 an den Japaner Koichi Tanaka und entzündete Zwist in der Fachwelt.
„In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist mehr und mehr klar geworden, dass alle biologischen Systeme im Wesentlichen als biochemische Maschinen funktionieren“, sagt Hillenkamp, der 15 Jahre lang an der Medizinischen Fakultät der Universität Münster (WWU) arbeitete und als 73-jähriger noch heute, nach seiner Emeritierung, wissenschaftlich so aktiv ist wie zuvor. „Sehr große Moleküle spielen dabei eine Schlüsselrolle“, so der Forscher: Rund 1.000 unterschiedliche Proteine (Eiweiße) gibt es in jeder menschlichen Zelle, der Cocktail wandelt sich ständig. Was in den 1970er Jahren noch fehlte, war ein Messverfahren für diese großen Moleküle. Diese Lücke schloss eine Forschergruppe aus dem Institut für Medizinische Physik und Biophysik der WWU. 1988 veröffentlichte das Team um Hillenkamp und Michael Karas ein Verfahren, das seitdem weltweit im Einsatz ist: die „Matrix-unterstützte Laser-Desorptions-/Ionisations-Massenspektrometrie“, kurz: MALDI-MS. Der Japaner Koichi Tanaka entwickelte eine ähnliche Methode, die aber wesentlich unempfindlicher ist und deshalb nicht verwendet wird.
„Durch Massenspektrometrie kann man, laienhaft ausgedrückt, Moleküle wiegen“, erläutert Hillenkamp: „Die größten Proteine wiegen nur Millionstel eines Millionstel Gramms. Anders als normale Waagen messen Massenspektrometer daher mit elektrischen und magnetischen Feldern.“ Das Problem: Bevor Moleküle analysiert werden können, müssen sie aus ihrer wässrigen Zellumgebung isoliert werden. Und die Messung funktioniert nur mit elektrisch geladenen Molekülen, also Ionen. „Bis Anfang der 1980er Jahre ging die Fachwelt davon aus: Löst man die großen Moleküle aus ihrer natürlichen Umgebung und überführt sie in das Vakuum eines Massenspektrometers, ist das, als schickte man einen Astronauten ohne Schutzanzug ins All – und werden sie dazu noch aufgeladen, gehen sie kaputt“, so Hillenkamp. Ein paar Gruppen begannen gegen den Trend zu experimentieren, 1985 gelang der Durchbruch mit unterschiedlichen Ansätzen in Münster und an der US-amerikanischen Yale University. Zeitgleich beschrieben die Forschergruppen 1988 ihre Ergebnisse in der Fachpresse - der Amerikaner John B. Fenn die Electrospray-Ionisation (ESI), Hillenkamp und Karas MALDI. Beide Methoden haben Stärken, beide haben sich etabliert. Fenn wurde 2002 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet, die Münsteraner nicht. Stattdessen Tanaka.
Die MALDI-Grundidee war, die wässrige Zellumgebung zu ersetzen. Die zu untersuchenden Moleküle werden dazu erst mit Wasser verdünnt und mit einer Matrix – etwa Nikotinsäure oder Dihydroxy-Benzoesäure – vermischt. Nachdem die Lösung getrocknet ist, bleibt eine kristalline Probe zurück, in der die Makromoleküle in die kleinen Matrixmoleküle eingebettet sind. Mit einem Laser werden die Makromoleküle nun in das Vakuum des Massenspektrometers „verdampft“: Ein Lichtblitz, eine Milliardstel Sekunde kurz und fokussiert auf 0,1 Millimeter der Probe, führt zu dieser so genannten Desorption. „Der Impuls ist so kurz, dass die Moleküle gar keine Zeit haben, kaputtzugehen“, sagt Hillenkamp – „und aus Gründen, die sehr schwer zu verstehen sind, kommen einige der Moleküle als Ionen heraus“. Mithilfe einer elektrischen Spannung von 20.000 Volt werden die Moleküle in ein zwei Meter langes Vakuum-Rohr des Massenspektrometers LAMMA-1000 befördert. Am Ende registriert ein Detektor die auftreffenden Ionen und misst damit die Flugzeit, die sich in Masse umrechnen lässt: „Schwere Moleküle fliegen langsamer als leichte“.
„Die Jahre der Entwicklung waren eine super Zeit, ich konnte es jeden Tag kaum erwarten, weiterzumachen“, erzählt Hillenkamp. „Der Nobelpreis wäre nie an dieses Gefühl herangekommen.“ Aber erst seien Karas und er schon enttäuscht gewesen: Der Ingenieur Tanaka publizierte seine Methode erst, nachdem die deutsche Gruppe ihr Vorgehen in Grundzügen schon offengelegt hatte. In der Praxis wendet sie niemand an. Tanaka sagte, er habe die deutschen Veröffentlichungen nicht gekannt.
„Das Komitee behauptete, Tanaka habe als erstes Proteine mit über 100.000 Masseneinheiten analysieren können. Das ist nachweislich falsch“, sagt Hillenkamp. „Aber Tanaka ist ein ganz bescheidener Mann, der hat sich sicher nicht vorgedrängelt. Wir kommen gut miteinander aus. Er hat mir erzählt, dass ihn der Nobelpreis und die Aufregung in der Fachwelt unglaublich belastet habe“. Nachdem Tanaka als Preisträger verkündet worden war, bekam Hillenkamp „unendlich viele Mails von Gott und der Welt mit Beileidsbekundungen“ und eine Reihe von Fachkollegen habe sich sogar beim Komitee beschwert. Tanaka wurde derweil vom japanischen Kaiser empfangen, sein Arbeitgeber richtete ein nach ihm benanntes Institut ein.
Woran es gelegen habe, dass die deutsche Forschergruppe leer ausging? „Es gibt die eiserne Regel, dass nie mehr als drei Personen ausgezeichnet werden. Gesetzt waren für 2002 der Electrospray-Entwickler John B. Fenn und der Schweizer Chemiker Kurt Wüthrich, der bei der umstrittenen Nobelpreisvergabe 1991 zur Magnetresonanzspektrometrie übergangen worden war“. Hillenkamp und Karas - der mittlerweile in Frankfurt lehrt - waren als Team gleichwertig an MALDI-MS beteiligt. Vier Forscher, das sei nicht möglich gewesen; mit Tanaka wurden drei ausgezeichnet. Verbittert ist Hillenkamp nicht: „Der Preis hätte mein Leben erheblich verändert und wer weiß, ob zum Besseren. Ein amerikanischer Kollege schrieb mir damals: Es ist besser, eine Auszeichnung zu verdienen, sie aber nicht zu bekommen, als umgekehrt“. Hillenkamp hat längst Frieden geschlossen mit der Nobelpreis-Affäre: „Ich hätte mit Tanaka unter keinen Umständen tauschen wollen“.

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