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Balanceakt zwischen Patientenschutz und Forschungsfortschritt: Ethik-Kommission wird 30 Jahre

Münster - Jeder Patient wünscht sich die modernsten Geräte in der Diagnostik, die bestmögliche Therapie und das schonendste Operationsverfahren. Aber jede neue Entwicklung in der biomedizinischen Forschung ist unweigerlich auch mit Risiken und Nebenwirkungen verbun-den. Deshalb sind Mediziner, die neue Untersuchungs- und Heilmethoden am Menschen einsetzen wollen, laut Berufsordnung verpflichtet, sich von einer Ethik-Kommission beraten zu lassen. Zuständig für Westfalen-Lippe ist die gemeinsame Ethik-Kommission der Ärztekammer-Westfalen-Lippe und der Medizinischen Fakultät der Universität in Münster. Sie wurde vor 30 Jahren gegründet und war bundesweit die erste Einrichtung ihrer Art. Began-gen wird das Jubiläum der Kommission am heutigen Freitag [31.10.2008] mit einer akademischen Festveranstaltung.
Auch wenn die ärztliche Berufsordnung die Anrufung der zuständigen Ethik-Kommission vorschreibt: Verboten ist die Durchführung eines mit biomedizinischen Versuchen am Men-schen verbundenen Forschungsprojekts grundsätzlich auch dann nicht, wenn die Ethik-Kommission ihre Zustimmung versagt. Allerdings würden sich die Forscher dadurch selbst ins Abseits stellen und sich beispielsweise die Aussicht auf öffentliche Fördergelder und auf die qualifizierte Veröffentlichung ihrer Ergebnisse verbauen. Speziell bei Arzneimittelstudien ist die Zustimmung der Ethik-Kommission jedoch verpflichtend. Daran wird deutlich: Die Ar-beit der Ethik-Kommission dient in erster Linie dem Schutz des Patienten.
Ganz bewusst werden nicht nur Ärzte in die Kommission berufen, sondern auch medizinische Laien. Neben Experten aus unterschiedlichen medizinischen Fachgebieten der Univer-sität und einer niedergelassenen Ärztin zählt die Ethik-Kommission in Münster daher auch einen Juristen, einen Theologen oder Philosophen, eine Apothekerin sowie eine Vertreterin der Landesarbeitsgemeinschaft der Selbsthilfe Behinderter zu ihren zwölf – allesamt ehren-amtlich arbeitenden - Mitgliedern. Große Bedeutung hat das Urteil der Nicht-Mediziner zum Beispiel bei der Beurteilung der Patientenaufklärung. Dass diese so verständlich wie möglich ausfällt, ist eine wichtige Voraussetzung für das Votum der Ethik-Kommission.
Auch wenn das Wohl der Patienten an oberster Stelle steht, muss die Kommission den medizinischen Fortschritt immer mit im Blick behalten. Dass biomedizinische Forschung am Menschen unverzichtbar ist, steht für Prof. Dr. Dr. Otmar Schober außer Frage. Ohne sie gebe es schließlich keine Fortschritte, von denen dann wiederum die Patienten profitierten. Doch der amtierende Vorsitzende der Kommission betont zugleich: „Wichtig ist eine verant-wortungsvolle Balance zwischen dem Schutz der Patienten und den Erfordernissen der Forschung.“ Dr. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, sieht einen wichtigen Beitrag zum Patientenschutz auch in der Besetzung der Kommission aus Ärzten und Nicht-Ärzten: „Dies fördert die Transparenz der Entscheidungen. Denn Transparenz ist in diesem Bereich besonders wichtig, um die in der Öffentlichkeit oft vorhandenen Ängste abzubauen, Menschen könnten unkontrollierten Versuchen ausgesetzt sein.“
Auch in anderer Hinsicht sind sich die beiden Mediziner einig: Nach drei Jahrzehnten sei die Ethik-Kommission mit ihrer jetzigen Personalausstattung an ihren Kapazitätsgrenzen angelangt. „Insbesondere die Arzneimittelstudien erfordern einen immer größeren Verwaltungs-aufwand“, erläutert Prof. Schober. So treffe sich die Ethik-Kommission seit 2006 statt monatlich alle drei Wochen, um der wachsenden Zahl von Anträgen – aktuell rund 600 jährlich – gerecht zu werden. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 1984 mussten ganze drei Sitzungen anberaumt werden, bei denen über insgesamt sieben Anträge beraten wurde. Doch nicht nur die Zahl der Anträge hat sich verändert, sondern auch deren Inhalt und damit die zu beurtei-lenden Problemlagen sowie die zu beachtenden Gesetzesvorschriften. Dr. Bärbel Uebing, Leiterin der Kommissionsgeschäftsstelle, nennt Beispiele: „Früher ging es meist um von Ärzten initiierte Studien zur Grundlagenforschung oder Therapieverbesserung. Heute hingegen überwiegen die von der Pharmaindustrie veranlassten Arzneimittelstudien. Natürlich arbeiten wir weiter sehr viel für Wissenschaftler der Uni Münster, zumeist solche aus der Medizin“.
Die Festveranstaltung, zu der alle Interessierten eingeladen sind, beginnt um 17.15 Uhr im Hörsaal des Dekanats der Medizinischen Fakultät (Domagkstraße 3). Nach Grußworten von Dr. Windhorst sowie von Prof. Dr. Elmar Doppelfeld, Vorsitzender des Arbeitskreises Medizinischer Ethik-Kommissionen in Deutschland, wird der münstersche Historiker Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer einen Festvortrag halten über das Thema „Medizin ohne Ethik“. Darin geht es, so der Untertitel, um „Die medizinische Wissenschaft zwischen Planbarkeit und Grenzüberschreitungen am Beispiel der menschlichen Vererbungswissenschaft 1920–1945“. Im Anschluss ist eine von Prof. Schober moderierte Diskussion mit Wissenschaftlern der Medizinischen Fakultät geplant.

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