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Daten von weiteren 100.000 Patienten: Arbeitsgruppe erforscht mit Krankenkassendaten Versorgungslage bei häufiger Oberarmfraktur
Münster (mfm/sw) – Die deutsche Gesellschaft altert, das ist kein Geheimnis. Das Gesundheitssystem steht damit vor einer Herausforderung: Prognosen zufolge soll sich die Beanspruchung der Krankenhäuser in den kommenden 20 Jahren verdoppeln. Wie dies zu bewältigen ist, will eine Arbeitsgruppe der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster herausfinden – und erforscht Risikoprofile älterer Patienten: Das Team um Prof. Jan Christoph Katthagen von der Klinik für Unfall-, Hand- und Wiederherstellungschirurgie des Uniklinikums untersucht, welche Faktoren postoperative Komplikationen oder eine Sterblichkeit bei proximalen Humerusfrakturen (Oberarmkopffraktur) bei Patientinnen und Patienten ab 65 Jahren begünstigen. Nach der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) ist nun auch die Barmer Ersatzkasse in das Projekt eingestiegen - und nicht nur das: Auch die Medizinische Fakultät der WWU steuert über ihr internes Förderprogramm „Innovative Medizinische Forschung“ (IMF) rund 128.000 Euro bei.
Knochenbrüche - etwa durch Stürze - sind im Alter zwar keine Seltenheit, stellen gleichwohl aber keinen unkomplizierten Routineeingriff dar: Die proximale Humerusfraktur ist die dritthäufigste Fraktur bei über 65-Jährigen – und reiht sich damit noch vor dem Schlaganfall und Lungenerkrankungen ein als Ursache für verkürzte Lebenszeit und -qualität. Behandlungsmöglichkeiten gibt es verschiedene – ein Konsens über die vorzuziehende Therapieform existiert jedoch nicht: Während immer mehr Fachleute auf die inverse Schulterendoprothese (ISE) setzen, spricht sich ein Teil der Wissenschaft und Praxis noch für die winkelstabile Plattenosteosynthese aus.
Welche Behandlungsform und welche Faktoren postoperative Komplikationen tatsächlich begünstigen, ist Forschungsgegenstand der Gruppe um Katthagen. Dafür nutzte das Team in einem ersten Durchlauf Krankenkassendaten der AOK, die aus der Zeit von 2010 bis 2018 und von über 53.000 Patienten über 65 Jahren stammten. Das Ergebnis: Unabhängig von den individuellen Risikofaktoren der Patienten zeigte die ISE eine geringere Sterblichkeitsrate auf lange Sicht. Während der primären stationären Behandlung ist diese Therapieform andererseits mit höheren direkten Kosten und einer längeren Krankenhausverweildauer verbunden. Unter dem Strich weist die ISE gleichwohl ein besseres Langzeitergebnis auf – berücksichtigt wurden bei der Untersuchung das Gesamtüberleben, schwerwiegende unerwünschte Ereignisse sowie chirurgische Komplikationen nach der Entlassung.
Die Erstautorin der Studie, Dr. Jeanette Köppe vom Institut Biometrie und Klinische Forschung, machte aber noch eine andere wichtige Beobachtung: „Anhand der Daten konnten wir geschlechtsspezifische Unterschiede feststellen: Bei der Versorgung mit ISE weisen Männer ein erhöhtes Risiko für schwere unerwünschte Ereignisse und eine höhere Sterblichkeit auf“. Die Bedeutung dieser Erkenntnisse ist nicht zu unterschätzen – denn eine proximale Humerusfraktur ziehen sich deutlich mehr Frauen als Männer zu. Für die Arbeitsgruppe hat dieses Ergebnis verdeutlicht: Individuelle Risikoprofile für eine erfolgreiche – und zugleich ressourcen- und kostensparende – Behandlung sind unabdingbar. Durch die Zusage der BEK kommen zum Projektstart im Juli Daten von bis zu 100.000 Patientinnen und Patienten hinzu - die Ergebnisse werden somit noch verlässlicher und repräsentativer.
Das Programm IMF der Medizinischen Fakultät ist internes Forschungsprogramm, das seit Gründung 1996 bereits über 780 Forschungsprojekte unterstützt hat. Durch die Anschubfinanzierung aus IMF-Mitteln sollen talentierte Nachwuchskräfte gefördert und bei der Einwerbung qualifizierter Drittmittel unterstützt werden.