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Hoden unter der Lupe: neue Einblicke in zelluläre und molekulare Veränderungen bei männlicher Unfruchtbarkeit

Ermöglichen mit ihren Analysen einen hochauflösenden Blick in den Hoden (v.l.n.r.): Dr. Sara Di Persio, Priv.-Doz. Dr. Nina Neuhaus und Dr. Sandra Laurentino vom Centrum für Reproduktionsmedizin sowie Tobias Tekath vom Institut für Medizinische Informatik (Foto: WWU/L. Jeremies)

Münster (mfm/lt) – „Den Wald vor lauter Bäumen nicht sehen“ – dieses Sprichwort verbindet man sicher nicht sofort mit einer medizinischen Untersuchung und Analyse von Hoden. In gewisser Weise trifft es aber auch dort zu: Hoden bestehen aus vielen unterschiedlichen Zelltypen und diese komplexe Beschaffenheit verhinderte bislang, dass diese Typen isoliert und anschließend analysiert werden konnten. Besonders bei der Diagnose und Therapie männlicher Unfruchtbarkeit stellt dies Ärzte und Forscher vor Probleme. Privatdozentin Dr. Nina Neuhaus und Dr. Sandra Laurentino von der Klinischen Forschergruppe 326 „Male Germ Cells“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) wollen dies ändern: Das Projekt der Wissenschaftlerinnen deckt erstmals - anhand von RNA-Sequenzierungen einzelner Zellen - die molekularen und zellulären Veränderungen im Hodengewebe unfruchtbarer Männer auf. Die Daten haben die Autorinnen nun in dem renommierten Fachjournal “Cell Reports Medicine” veröffentlicht.

Im Ejakulat eines gesunden Mannes befinden sich viele Millionen Spermien; deren Bildung hängt von einem effizienten Stammzellsystem ab. Bei Männern mit Kryptozoospermie – einer Verminderung der Spermienanzahl – sind hingegen weniger als 0,1 Millionen Spermien vorhanden. Mit diesem stark reduzierten Wert ist die natürliche Befruchtung einer Eizelle beinahe unmöglich. Die damit vorliegende Diagnose „männliche Unfruchtbarkeit“ ist nicht nur für die Betroffenen bedrückend, sondern stellt auch behandelnde Ärztinnen und Ärzte vor eine Herausforderung: Nur bei knapp einem Drittel solcher Diagnosen lässt sich eine klare Ursache finden. Welche Veränderungen bei diesen Patienten das Hodengewebe aufweist, in dem die Spermien durch Differenzierung von spermatogonialen Stammzellen (Spermatogonien) gebildet werden, war bisher weitestgehend unbekannt. Dies lag vor allem am Fehlen einer technischen Möglichkeit, die einzelnen Zelltypen isoliert zu analysieren.

Für ihre Studien führte das münstersche Forschungsteam eine Analyse der Genexpression  einzelner Zellen durch. Durch die sogenannte RNA-Sequenzierung wird die Nukleotid-Abfolge der RNA (Ribonukleinsäure) bestimmt, derart lassen sich zellspezifische Merkmale und Veränderungen in der Expression der untersuchten Gene aufdecken. Durch die Analyse von rund 30.000 Einzelzellen gelang der Arbeitsgruppe nun ein klarer Blick auf die Spermatogonien. Dabei ist die bioinformatische Analyse der einzelnen Zellen die Besonderheit der Forschung, bei der Tausende von Zellen aus gesundem Hodengewebe mit denen von Kryptozoospermie betroffenen Patienten verglichen wurden.

„Überrascht hat uns die Tatsache, dass bei Patienten mit Kryptozoospermie im Vergleich zu Gesunden die Zahl der Spermatogonien unverändert ist. Jedoch findet sich eine Veränderung in den Reservestammzellen der Spermatogonien“, erläutert Neuhaus. Unter normalen Bedingungen schicke der Hoden ungefähr die Hälfte seiner Spermatogonien in einen „Dornröschenschlaf“, um sie bei Bedarf zu reaktivieren, damit die Spermienproduktion wiederhergestellt und einem Stammzellenverlust entgegengewirkt werden kann. Bei Vorliegen einer Kryptozoospermie sei die Zahl dieser Reservestammzellen deutlich verringert. „Die ständige Rekrutierung von Reservestammzellen ist wahrscheinlich auf Dauer nicht aufrechtzuerhalten und kann zu einer fortschreitenden qualitativen und quantitativen Verschlechterung der Spermienbildung führen“, beschreibt Dr. Laurentino die vom Team angenommene Konsequenz.

Die interdisziplinär durchgeführte Studie der Forschergruppe „Male Germ Cells“ hat, indem sie einen hochauflösenden Blick in den Hoden unfruchtbarer Patienten ermöglicht, die Dynamik hinter der Regulation des spermatogonialen Stammzellsystems aufgedeckt. Damit bereitet die Studie den Weg für eine verbesserte Diagnose bisher ungeklärter Fälle männlicher Unfruchtbarkeit.

Link zum Paper im Webjournal von „Cell Reports Magazine“

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