DFG-Projekt: Theorie der Medizin seit 1945 [ABGESCHLOSSEN]

Darstellung und kritische Bewertung der Ansätze in BRD und DDR unter Berücksichtigung relevanter Entwicklungen in Europa und Nordamerika seit 1945Projektleiter
Prof. Dr. med. Dr. phil. Peter Hucklenbroich

Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Dr. Daniela Mergenthaler

EinführungDie Theorie der Medizin, auch medizinische Theorie, Medizintheorie genannt, befaßt sich mit der Philosophie und Methodologie der medizinischen Forschung und Praxis. Obwohl ihre geschichtlichen Wurzeln weit zurückreichen, kann die Medizintheorie als junge Disziplin begriffen werden. Die Umbenennung des Münsteraner Instituts für Geschichte der Medizin in "Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin" (1974) sowie das Erscheinen zweier internationaler medizintheoretischer Zeitschriften, "Theoretical Medicine" (1977, zunächst unter dem Namen Metamed) und das "Journal for Medicine and Philosophy" (1976) und der Buchreihe "Medicine and Philosophy" (1975) sind wichtige Meilensteine in der Entwicklung der Medizintheorie.Dennoch kann die Medizintheorie weder im wissenschaftssoziologischen noch im wissenschaftstheoretischen Sinne als eine etablierte, institutionalisierte Wissenschaft gelten. Nur wenige Forscher, die in ihren Bereichen tätig sind, verstehen und definieren sich als Medizintheoretiker. Es gibt keinen wissenschaftlichen Organisationsverband speziell für Medizintheoretiker. In der medizinischen Ausbildung scheint die Medizintheorie ebenfalls nur eine marginale Rolle spielen und ist noch nicht in den Katalog der Lehr- und Prüfungsfächer aufgenommen. Auch innerhalb der Medizintheorie besteht keine Einigkeit über dieses Fach: Es gibt weder eine allgemeinverbindliche Definition der Medizintheorie, die eine Markierung und Abgrenzung ihres Gegenstandsbereiches zuließe, noch ein anerkanntes Konzept einer solchen Wissenschaft. Bis auf die Ansicht, daß Medizintheorie irgendwie die Medizin auf philosophisch-theoretischem Niveau zu reflektieren habe, divergieren die einzelnen Ansichten über Gegenstand, Methoden und Stellenwert der Medizintheorie erheblich. Die in der Literatur vorgeschlagenen Definitionen und Abgrenzungsversuche zu anderen Disziplinen, wie der Wissenschaftstheorie, der Biometrie, der theoretischen Biologie, variieren in Abhängigkeit von der Position des Autors erheblich. Entsprechend ihrer konzeptuellen Unschärfe ist die Literatur der Medizintheorie bisher in hohem Maße verstreut und in unterschiedlichen Formen und Kontexten erschienen. Autoren unterschiedlicher Berufsgruppen, z.B. Kliniker, Biologen, Philosophen, Soziologen, Psychologen und Historiker, haben sich implizit oder explizit mit medizintheoretischen Themen beschäftigt. Einige eigenständige medizintheoretische Traditionen, z.B. die polnische Schule, sind auszumachen; teilweise wird die Medizintheorie im Rahmen anderer medizinischer Fachdisziplinen, z.B. im Rahmen der Psychosomatik, diskutiert, wie bei Thure von Uexküll und Wolfgang Wesiack. Zudem existieren Arbeiten über Medizintheorie aus der Sicht benachbarter Wissenschaften, z.B. der aus der Philosophie bei Wolfgang Wieland oder Alwin Diemer. Weiterhin gibt es eine nicht unerhebliche Menge an sozusagen idiosynkratisch gebildeter Literatur, in der ohne weitere Bezugnahme auf wissenschaftstheoretische Diskussionen medizintheoretische Gedanken entwickelt werden. Eine vergleichende und bündelnde Darstellung der Medizintheorie fehlt bisher jedoch. Beschreibung des Projektes
  1. Ziel des Projektes ist es, die Entwicklungen in der medizintheoretischen Diskussion und ihre relevanten Ansätze seit 1945 im deutschsprachigem Raum systematisch zu untersuchen. Das bisher von der Deutschen Forschungsgesellschaft für einen Zeitraum von zwei Jahren bewilligte Vorhaben beinhaltet drei verschiedene, im Verlauf sich überschneidende Arbeitsschwerpunkte.
  2. Literaturerfassung und DokumentationDiejenige Literatur, die seit 1945 unter der Bezeichnung "Theorie der Medizin" in der BRD und DDR erschienen ist, soll erfaßt werden, parallel dazu wird wichtige, repräsentative Literatur für das sonstige Europa und Nordamerika aufgenommen. Die Dokumentation der Literaturrecherche erfolgt in Microsoft Access Datenbank.
  • Wissenschaftstheorie der Medizin: Wissenschaftsbegriff, Wissenssystematik, Methodologie der ForschungMedizinische Anthropologie: Theorie des Organismus, Theorie des bio-psycho-sozialen Zusammenhangs Theoretische Pathologie: Theorie der Gesundheit und Krankheit Klinische Methodologie / Überschneidungsbereich zwischen medizinischer Theorie und Ethik: Theorie der Diagnostik, Therapeutik und Prognostik
  • Nach inhaltlicher Erschließung wird an Hand der Systematik eine Gesamtdarstellung über die deutschsprachige Literatur der Medizin seit 1945 erarbeitet werden; ein weiterer grober Überblick soll die Entwicklungen der medizintheoretischen Literatur im übrigen Europa und in Nordamerika behandeln.
  • Inhaltliche Analyse und Erarbeitung einer ÜberblicksdarstellungDie erfaßte Literatur wird inhaltlich erschlossen, indem jedes Werk hinsichtlich der behandelten Probleme, der diskutierten Positionen, der theoretischen Ansätze und der zugrundeliegenden Ansicht von Medizintheorie überhaupt analysiert wird. Aus diesen Einzelarbeiten soll eine detaillierte medizintheoretische Systematik erarbeitet werden, die mindestens folgende Hauptgebiete der Medizintheorie enthält:
  1. Kritische Diskussion und Bewertung des ProjektesAuf der Grundlage beider Berichte soll eine kritische Diskussion und Bewertung der bisher vorliegenden Ergebnisse und Problemlösungen, der angewandten methodischen und theoretischen Ansätze und des Diskussionsverlaufes erfolgen. Eine resümierende Betrachtung, die offene Probleme, Desiderate und Potentiale der Medizintheorie offenlegt, wird angestrebt.
Bei weiteren Fragen oder Hinweisen wenden Sie sich bitte per e-mail an mergenthaler@uni-muenster.de.