"Das neue Anatomische Institut der Universität Münster"

von Oberbaurat i.R. Friedrich Knolle und Prof. Dr. Dr. Hellmut Becher
Sonderdruck aus: Die Bauverwaltung. Heft 9/1955. Werner Verlag Düsseldorf.

(Auszüge aus der Publikation)
"Das Anatomische Institut war vom Jahre 1904 bis 1941 in der alten Kürassierkaserne am Krummen Timpen untergebracht. Die Einrichtungen waren sehr behelfsmäßig und führten oft zu Belästigungen und Beschwerden der Nachbarschaft, so dass schon vor dem ersten Weltkrieg die Absicht bestand, ein neues Institut zu bauen. Durch den Krieg und die Notwendigkeit der Errichtung dringenderer Bauvorhaben, wie des Neubaues der Universitätskliniken, wurden die Planungen für eine neue Anatomie immer wieder hinausgeschoben und nur kleine bauliche Verbesserungen an dem alten Gebäude durchgeführt. Anfang Juli 1941 legten Luftangriffe den ganzen Gebäudekomplex in Trümmer und machten die sofortige Errichtung eines eingeschossigen Holzbaues zusammen mit dem Physiologischen Institut am Westring notwendig. Diesem Provisorium war nur eine kurze Lebensdauer beschieden, da im Herbst 1944 auch dieser Bau größtenteils den Brandbomben zum Opfer fiel.

Im Jahre 1950 nahmen die Pläne für einen umfangreichen Neubau greifbare Gestalt an, und nach Bereitstellung der Mittel und dem Ankauf des Grundstückes am Pottkamp hinter der Universitätskinderklinik konnten im Dezember 1950 die Ausschachtungsarbeiten beginnen. Zunächst wurde der Mittelbau errichtet, dem sich bald der östliche Flügel und später der westliche Flügel anschlossen.
Der mittlere viergeschossige Hauptbau dient dem Unterricht. Er enthält zwei Hörsäle, den Mikroskopiersaal, zwei Demonstrationsräume, die Unterrichtsräume für die medizinisch-technischen Assistentinnen, Garderobenräume sowie im Untergeschoß die Werkstätten und die Heizung. Der östliche zweigeschossige Flügel enthält die Seziersäle, den Leichenkeller mit Nebenräumen und im ausgebauten Dachgeschoß die anatomische Sammlung. Im westlichen dreigeschossigen Flügel liegen die Forschungs- und Verwaltungsräume.
Wenn man von Süden durch den Haupteingang für Studierende den Mittelbau betritt, gelangt man zunächst in eine zweigeschossige Halle mit den Aufgängen zu den Hörsälen. Gegenüber dem Haupteingang führt der Weg in den Garderobenraum mit Kleiderspinden, von dem man entweder in gerader Richtung zu dem großen Mikroskopiersaal, oder nach rechts durch den Waschraum in die beiden Seziersäle gelangt, denen sich die Situsräume anschließen..."

"...Die fünf hohen Fenster der Eingangshalle zeigen eine künstlerische Ausgestaltung durch farbige Bleiverglasung. Das Motiv der Glasbilder behandelt in symbolischen und figürlichen Darstellungen das Thema „Vom Unbelebten zum Lebendigen". Es wurde nach Anregungen des Institutsdirektors von Prof. Vinzenz Pieper (Technische Universität Berlin) entworfen und von der Firma Junglas, Münster, ausgeführt..."

"...Nach Überwindung der zweiarmigen Treppe in der Eingangshalle erreicht man den unteren Demonstrationsraum, von dem man in gerader Richtung zur Kleiderablage unter dem Hörsaalgestühl- und rechtsseitig in die anatomische Sammlung über den Seziersälen gelangt. Von dem unteren Demonstrationsraum im ersten Obergeschoß führt die Haupttreppe weiter durch den Demonstrationsraum im zweiten Obergeschoß zum großen und kleinen Hörsaal. Dem großen Hörsaal schließen sich ein Vorbereitungsraum sowie die Unterrichtsräume zur Ausbildung von medizinisch-technischen Assistentinnen an..."

"...Im Erdgeschoß liegt hinter dem Mikroskopiersaal das große histologische Laboratorium. Über dem Vorbereitungsraum des großen Hörsaales befindet sich eine zum Hörsaal offene, aber durch einen Vorhang abschließbare Empore mit den Schränken für Karten und Tafeln. Das Untergeschoß des Hauptflügels beherbergt die zentrale Heizungsanlage mit Kokskeller, Heizerraum mit Bad, je eine Tischler-, mechanische und Modellierwerkstatt, die Waschküche, einen Studiensaal und einen Erfrischungsraum für die Studierenden..."

"...Der große Hörsaal umfasst 420 Plätze und bietet alle Projektionsmöglichkeiten. Auf der östlichen Fensterseite des Hörsaales ist ein Verbindungsgang neben dem Gestühl für den Transport von Sammlungsgegenständen zum Vortragstisch freigelassen. Das Gestühl steigt gleichmäßig in leicht geschwungenen Stufen an. Der kleine Hörsaal mit Projektionseinrichtung bietet Raum für 120 Plätze. Im Mikroskopiersaal, der 250 Plätze enthält, arbeiten die Studierenden in Gruppen zu vieren an einem Tisch, der in der Mitte eine Mikroskopierlampe trägt. Von dem Leichenkeller führt ein Lastenaufzug zu den Sezierräumen und der darüber liegenden Sammlung, an die sich die Arbeitsräume des Präparators und eine offene Knochenbleiche anschließen..."

"...Bei dem Brande des früheren Institutes waren die Schränke der Anatomischen Sammlung gerettet worden. Sie haben nach einer Umarbeitung im neuen Institut Verwendung gefunden und sind durch einige weitere Schauschränke und Vitrinen vervollständigt. Alle Schränke sind von innen zu erleuchten. Die Sammlung steht den Studierenden offen und bietet an 18 Arbeitstischen, die an den Längswänden zwischen den Fenstern aufgestellt und für mikroskopische Zwecke beleuchtbar sind, Gelegenheit zum Studium. Hinter der Sammlung befinden sich die Arbeitsräume des Präparators..."

"...Der westliche Forschungs- und Verwaltungsflügel ist durch einen besonderen Zugang auf der Südseite zu erreichen. Zu diesem Teil des Gebäudes haben die Studierenden für gewöhnlich keinen Zugang. Im Obergeschoß sind die Verwaltungsräume, die Dienstzimmer und Laboratorien des Direktors, eine Abteilung für Gewebezüchtung, ein chemisches Laboratorium, ein Wohnraum für Gäste des Instituts und die Institutsbibliothek, zugleich Sitzungsraum, untergebracht. Das Erdgeschoß enthält die Arbeitsräume des Prosektors, des Oberassistenten, der Assistenten und die Hausmeisterwohnung mit getrenntem Zugang. Im Untergeschoß liegen ein Personalraum, die Tieroperationsabteilung, die Abteilung für Elektronenmikroskopie und eine Abteilung für Entwicklungsmechanik einschließlich Aquarium. In jedem Stockwerk sind ein Bad und eine photographische Dunkelkammer vorhanden, im Erdgeschoß außerdem ein großer Raum für mikro- und makrophotographische Arbeiten. Eine besondere Photoabteilung befindet sich in dem ausgebauten Teil des Dachbodens des Forschungsflügels. Der östliche Gebäudeflügel dient der Arbeit an der Leiche. Durch die gesonderte Lage dieses Arbeitsbereiches und durch die besonders intensive Abluftanlage wird eine Geruchsbelästigung der anderen Gebäudeteile verhindert..."

"...Die Inbetriebnahme des Unterrichtsteils (Mittel- und Ostflügel) erfolgte Anfang Januar 1953, des ganzen Institutes zum Sommersemester 1954. Gelegentlich der Eröffnung fand im April 1954 die Tagung der anatomischen Gesellschaft statt, bei der über 200 Anatomen aus 11 verschiedenen europäischen und außereuropäischen Ländern das neue Institut besichtigten.
Entwurf und Bauleitung erfolgten durch den damaligen Leiter des Staatshochbauamtes II, Münster, Oberbaurat Knolle, dem, für die Entwurfsbearbeitung und Bauleitung Baumeister Weitkamp zur Seite stand. Planung und innerbetriebliche Entwurfsbearbeitung und Ausführung geschahen in ständigem Austausch gegenseitiger Beratung und harmonischer Zusammenarbeit mit dem Direktor des Institutes Prof. Dr. Dr. H. Becher."